Der Werkstoff Titan:

Die Korrosionsbeständigkeit des Titans

Titan das schon sehr früh, nämlich im Jahre 1790, als metallisches Element erkannt worden war, ist weit häufiger in der Erdrinde verteilt, als viele der herkömmlichen, oft eingesetzten, metallischen Werkstoffe, wie Kupfer oder Zink. Da es jedoch immer in Verbindung mit Sauerstoff auftritt, ist die Gewinnung des reinen Metalls aus dem Erz eine schwierige und kostspielige Angelegenheit, und erst in diesem Jahrhundert wurde gegen Ende der vierziger Jahre ein wirtschaftlich tragbares Gewinnungsverfahren entwickelt. Reines Titan ist ein Metall mit einer Dichte von 4,51 g/cm3 und etwas besseren mechanischen Eigenschaften als Flussstahl. Titanlegierungen stehen mit Festigkeiten von über 138 hbar* zur Verfügung. Auf Grund dieser Eigenschaften eignet sich der Werkstoff besonders für die Luft- und Raumfahrtindustrie sowie für andere Gebiete des Maschinenbaues, bei denen ein hohes Festigkeits-/Gewichtsverhältnis verlangt wird. Die Tatsache, dass Titan nunmehr in zunehmenden Mengen zur Verfügung steht, macht es außerdem zu einem wirtschaftlichen Faktor in der chemischen Industrie, wo seine ungewöhnlich gute Korrosionsbeständigkeit von ausschlaggebender Bedeutung ist.

Titan als solches ist sehr reaktionsfähig. Wann immer es der atmosphärischen Luft oder Sauerstoff in irgendeinem Medium ausgesetzt wird, bildet es sofort einen dünnen, festhaftenden Oxidfilm. Dieses Oxid, das bei normaler oder schwach erhöhter Temperatur vorhanden ist, wurde als Rutil identifiziert, einer tetragonalen Form von Titandioxid. Dieser Oberflächenfilm verleiht dem Titan seine ausgezeichnete Korrosionsbeständigkeit in einer großen Anzahl verschiedenster korrodierender Medien. Unter der Voraussetzung, dass ausreichend Sauerstoff vorhanden ist, bleibt der Oxidfilm erhalten, und bildet sich praktisch sofort wieder, wenn er mechanisch beschädigt wurde. Da die Passivität des Titans von der Anwesenheit eines Oxidüberzugs abhängt, ist es logischerweise in oxydierenden Lösungen wesentlich widerstandsfähiger gegen Korrosion als in nichtoxydierenden Medien, in denen hohe Werte für den Korrosionsabtrag auftreten können. Der Werkstoff kann demnach in allen Konzentrationen von wasserhaltiger Salpetersäure bei Temperaturen bis zum Siedepunkt verwendet werden. Ebenso wenig wird er durch nasses Chlor als Gas oder durch Lösungen von Chlorverbindungen wie Natriumchlorat, -chlorit und -hypochlorit angegriffen. Es liegen keine Anzeichen von Lochfraß oder Spannungsrisskorrosion in wässrigen Lösungen anorganischer Metallchloride vor, und Titan ist überdies gegen Seewasser, sogar bei hohen Geschwindigkeiten, außerordentlich beständig. Während der Werkstoff in Medien (wie Salzsäure und Schwefelsäure), die bei der Reaktion mit Metall Wasserstoff entwickeln, normalerweise ein beachtliches Ausmaß an Korrosion zeigt, hat die Anwesenheit einer kleinen Menge eines Oxydationsmittels in der Säure die Bildung eines passiven Überzugs zur Folge. Titan ist daher gegen Angriff in Mischungen von hochkonzentrierter Schwefel- und Salpetersäure, Salz- und Salpetersäure, ja sogar in starker Salzsäure mit einem Gehalt an freiem Chlor beständig. Der Grund für die günstige Wirkung von Oxydationsmitteln in nichtoxydierenden Lösungen ist ihre Neigung, das Metall/Elektrolyt-Potential aus dem aktiven Bereich der Polarisationskurve in den passiven zu heben. Das gleiche Konzept eines schützenden Potentialbereichs erklärt, warum die Anwesenheit von Kupfer (II)- oder Eisen (III)-Ionen in der Lösung die Korrosionsgeschwindigkeit herabsetzt, und warum das Legieren mit Edelmetallen, oder die Anwendung anodischer Passivierungsverfahren, eine beachtliche Verbesserung des Korrosionsverhaltens ergibt. Der Zusatz von 0,15 % Palladium zu Titan verringert die Korrosionsgeschwindigkeit in siedender 5 %iger Schwefelsäure um einen Faktor von ca. 500, und in siedender 5 %iger Salzsäure um einen Faktor von 1500, bezogen auf die bei nichtlegiertem Titan erhaltenen Werte. In gleicher Weise kann anodische Passivierung mit Hilfe einer überlagerten positiven Spannung eine sehr merkliche Verringerung der Korrosion herbeiführen. Hier wird das Potential durch die überlagerte Spannung auf ein Niveau erhöht, bei dem die Metall/Elektrolyt-Grenzfläche einen der Bildung des beständigen, unlöslichen Titandioxidfilms förderlichen Zustand erreicht. Wenn dieser Film einmal vorhanden ist, erfolgt nur sehr geringer weiterer Stromdurchgang in den Elektrolyten, und die Korrosion hört praktisch auf, solange die Schutzspannung angelegt wird. Schützende Oxidfilme auf Titan bilden sich normalerweise, wenn das Metall mit Wasser in Berührung kommt, selbst wenn dieses nur in Spurenmengen oder in Dampfform anwesend ist. Wenn Titan stark oxydierenden Einflüssen bei völliger Abwesenheit von Wasser ausgesetzt ist, kann schnelle Oxydation eintreten, und eine heftige, oft pyrophore Reaktion ist die Folge. Beispiele dieser Art des Verhaltens sind die Reaktionen zwischen Titan und wasserfreier Salpetersäure mit einem Gehalt an Stickstoffdioxid, und zwischen Titan und trockenem Chlor. Die erforderliche Feuchtigkeitsmenge, die eine Reaktion unter diesen Bedingungen verhindert, ist jedoch gering; 2 % Wasser genügen, um Titan in freies Stickstoffdioxid enthaltender Salpetersäure zu passivieren, und nur 50 ppm können den Angriff in Chlor unter gewissen Bedingungen völlig hemmen.

Wenn Titan in korrodierenden Lösungen mit anderen Metallen in Kontakt ist, wirkt es normalerweise als Kathode. Obwohl kein Angriff auf das Titan erfolgen mag, können sich schädigende galvanische Einwirkungen auf die anderen Metalle zeigen. Das Ausmaß der auftretenden Korrosion hängt weitgehend vom Anoden-Kathoden-Flächenverhältnis ab. Wenn die Fläche des zweiten Metalls verglichen mit der des Titans klein ist, wird wahrscheinlich starke Korrosion des ersteren auftreten, während bei umgekehrtem Flächenverhältnis geringere Korrosion erfolgt. Ist Titan mit Werkstoffen wie rostfreier Stahl in Kontakt, die ebenso wie Titan leicht polarisieren, findet normalerweise keine galvanische Korrosion statt. In bestimmten Säurelösungen kann sich Titan zu rostfreiem Stahl anodisch verhalten, wobei eine Korrosion des Titans stattfindet. Ein ähnlich nachteiliger Effekt entwickelt sich, wenn Titan mit Flussstahl in Salzsäurelösungen in Kontakt steht. Hierbei erklärt sich der wahrscheinliche Mechanismus durch die Bildung von naszierendem Wasserstoff am kathodischen Titan als Folge der Flussstahlkorrosion, wodurch die normale Passivität des Metalls zerstört wird.

Obwohl Titan gesteigerte Korrosion in Rissen, in denen kein freies Zirkulieren der Lösung erfolgt, sehr wohl erleiden kann, ist es durch diese Form des Angriffs doch weit weniger gefährdet als andere metallische Werkstoffe. Es wurde über Beispiele von Spaltkorrosion in nassem Chlor und in Salzsole berichtet, die dafür erforderlichen Abmessungen des Spalts sind jedoch ziemlich entscheidend. Fälle, in denen Spaltkorrosion von Titan während des Betriebs auftraten, sind - im Verhältnis zur Anzahl der unter dieser Art von Einflüssen im Einsatz befindlichen Titanapparate - äußerst selten. Es zeigte sich, dass mit 0,15 % Palladium. legiertes Titan bei Anwesenheit von Rissen ein wesentlich besseres Verhalten zeigt als unlegiertes Titan.

Versuche, Spannungsrisskorrosion von unlegiertem Titan in einer großen Anzahl verschiedener Medien herbeizuführen, erwiesen sich als erfolglos, und Betriebsstörungen sind selten. Angriffe dieser Art scheinen nur in roter, rauchender Salpetersäure und in Methylalkohol vorzukommen, und in beiden Fällen lässt sich die Schwierigkeit durch die Anwesenheit einer kleinen Menge Wasser völlig beseitigen. Unter oxydierenden Bedingungen haben Titanlegierungen im allgemeinen ähnliche Korrosionseigenschaften wie das reine Metall, in nicht-oxydierenden Lösungen jedoch setzen Legierungen mit Edelmetallen oder Molybdän das Ausmaß der Korrosion wesentlich herab.

Einfluss vom Eisengehalt und von Eisen-Oberflächenverunreinigung

Eisengehalt des Titans

Es wurde gezeigt, dass sich der Eisengehalt von Titan auf dessen Korrosionsbeständigkeit in bestimmten Medien wesentlich auswirken kann. In Salpetersäure z.B. ist vorzugsweise eine Korrosion der Schweißnaht möglich, wenn der Eisengehalt über einem bestimmten kritischen Wert liegt. Metallographische mikroanalytische Verfahren mit Hilfe einer Elektronensonde zeigten, dass in mit Eisen verunreinigtem Material ein feinverteilter Niederschlag einer Titan/Eisen-Verbindung, wahrscheinlich eine eisenreiche Betaphase, vorhanden ist. Im Muttermetall hat der Niederschlag die Form von isolierten Teilchen, erscheint aber infolge der verschiedenen Abkühlungsgeschwindigkeiten in der Schweiß- und Wärmeeinflusszone in Nadelform. Zwischen der eisenreichen Verbindung und dem AlphaTitan entsteht dadurch ein galvanisches Element das die Korrosion herbeiführt. Obwohl auf dem Muttermetall ein schwacher Angriff stattfindet, ist eine galvanische Tiefenkorrosion wegen der Form des Niederschlags nicht möglich. In der Zone der Schweißnaht und des Wärmeeinflusses gilt dies allerdings nicht, da die nadelartige Struktur einen Angriff in die Tiefe fördert.

Die normale Spezifikationsgrenze für Eisen in Titan ist 0,2 % Hauptsächlich wurden Korrosionen von Schweißnähten in Salpetersäure bei Eisenmengen bis zu 0,07 % gefunden, während bei einem Eisengehalt von 0,05 % eine Korrosion unwahrscheinlich ist. Demnach wird nunmehr für Titan in Salpetersäure ein maximaler Eisengehalt von 0,05 % empfohlen.

Eine andere Quelle hohen Eisengehalts in Schweißungen ist die Verunreinigung der Titankanten durch Eisen vor dem Schweißen. Während des Schweißens dringt das Eisen in die Naht ein und bildet den Ausgangspunkt für eine Korrosion sogar dann, wenn der Eisengehalt des Muttermetalls unter dem festgelegten Wert von 0,05 % liegt. Unter diesen Umständen kann die Korrosion hauptsächlich in Form eines ruckweisen Angriff entlang der Schweißnaht in den Gebieten der Eisenverunreinigung erfolgen. Dadurch unterscheidet sie sich von der gleichmäßigeren Korrosion einer Schweißnaht bei einer hohen Eisenverunreinigung des Muttermetalls.

Oberflächenverunreinigung durch Eisen

Wenn zur Herstellung von Titanbauteilen eiserne Werkzeuge verwendet werden, ist eine gewisse Verunreinigung der Oberfläche mit Eisen praktisch unvermeidlich. In fast allen Fällen wird die Korrosionsbeständigkeit des Titans nicht in Mitleidenschaft gezogen, und die Anlagen arbeiten zufriedenstellend. Gelegentlich allerdings beginnt ein schneller Angriff an den mit Eisen verunreinigten Stellen. Dies wird besonders in wasserstoffhaltiger Atmosphäre bei Temperaturen und Drücken beobachtet, bei denen sonst keine Korrosion zu erwarten ist. Normalerweise dient das Oberflächenoxid als wirksame Schutzschicht zwischen dem Titan und dem gasförmigen Wasserstoff Wenn diese Oxidschicht jedoch durch eine Oberflächenverunreinigung von Eisen mechanisch beschädigt wird, kann ein Eindringen des Wasserstoffs in das Metall erfolgen. Wenn dieses einmal stattgefunden hat, ist das Spröde werden eine Funktion der Diffusionsgeschwindigkeit im Titan, die ihrerseits von der Temperatur abhängt.

Es ist daher unerlässlich, bei Verwendung in Wasserstoff bei mäßigen Temperaturen und Drücken eine Oberflächenverunreinigung durch Eisen zu vermeiden, und es ist verständlicherweise wünschenswert, sie in jeder chemischen Anlage auf ein Minimum zu reduzieren. Schwaches Abbeizen hilft bei der Entfernung des Eisens, und Titandrahtbürsten wurden statt der Stahlbürsten verwendet. Eine erhöhte Titankorrosion kann auch auftreten, wenn sich das Metall in Salzsäurelösungen in Kontakt mit Stahlteilen befindet (siehe Abschnitt über galvanische Korrosion).

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Anodische Passivierung von Titan

Tabelle (29.) Einfluß der anodischen Passivierung auf die Korrosionsbeständigkeit von Titan
Säure Temperatur Potential H2-Skala Korrosion / Jahr (bei angelegter Spannung) Faktor der Korrosions-verringerung
40 % Schwefelsäure 60 °C 2,1 V 0,005 mm 11.000
90 °C 1,4 V 0,07 mm 896
114 °C 2,6 V 1,80 mm 189
Siedepunkt
60 % Schwefelsäure 60 °C 1,7 V 0,035 mm 662
90 °C 3,0 V 0,10 mm 163
80 % Schwefelsäure 60 °C 1,0 V 1,03 mm 140
95 % Schwefelsäure (konz.) 60 °C 1,0 V 1,33 mm
37 % Salzsäure (konz.) 60 °C 1,7 V 0,068 mm 2.080
60 % Phosphorsäure 60 °C 2,7 V 0,018 mm 307
90 °C 2,0 V 0,50 mm 100
Siedepunkt 2,7 V 1,30 mm 124
50 % Ameisensäure Siedepunkt 1,4 V 0,083 mm 70
25 % Oxalsäure 90 °C 1,6 V 0,038 mm 1.000
  Siedepunkt 1,6 V 0,250 mm 350
20 % Sulfaminsäure 90 °C 0,7 V 0,005 mm 2.710

Das beständige und festhaftende Oxid, das normalerweise auf der Titanoberfläche vorhanden ist, wurde als Rutil, eine tetragonale Form von Titanoxid identifiziert. Da es dieser Film ist, der dem Titan seine ausgezeichnete Beständigkeit gegen die Korrosion einer großen Anzahl verschiedenster Medien verleiht, ist es nicht erstaunlich, dass sich Titan in oxydierenden Lösungen wesentlich besser verhält als in nichtoxydierenden wie Salz- und Schwefelsäure, in denen es sehr schnell angegriffen werden kann. Unter diesen nichtoxydierenden Bedingungen sinkt das Elektrodenpotential im Vergleich zu einer Standard-Halbzelle auf einen negativen oder aktiven Wert. Wenn es jedoch auf irgendeine Art gesteigert werden kann, dann ist es möglich, den Schutzfilm sogar bei Anwesenheit nichtoxydierender Säuren wieder zu bilden. Dies lässt sich entweder durch Oxydationsmittel oder Schwermetallionen in der Lösung, durch Koppeln des Titans mit einem edleren Metall, oder durch anodische Polarisation mit Hilfe eines angelegten Stroms erreichen.
Abb. 18 zeigt die Polarisationskurve für Titan in 40 %iger Schwefelsäure bei 60 °C. Sie zeigt deutlich, daß bei einem Potentialanstieg von etwa minus 450 mV vorerst kein Absinken des Korrosionsabtrags eintritt. Zwischen diesem Wert und minus 100 mV geht Titan zuerst als Ti (II)-ionen und dann als Ti (III)-ionen in Lösung. Bei einem Potential von minus 100 mV, bei dem die Kurve horizontal verläuft, fällt die Löslichkeit des Titans schnell ab, und ein stabiles Titandioxid wird gebildet. Dieses Schutzoxid besteht hauptsächlich aus Anatas, einer tetragonalen Form von Titandioxid. Bei weiterem Potentialanstieg wird der Film dicker und zeigt eine Reihe von Interferenzfarben, bis er bei einer maximalen Grenzstärke von rund 2000 A eine purpurrote Farbe erreicht.
In 40 %iger Schwefelsäure bei 60 °C erfolgt die geringste Korrosion bei ca. +2,5 V. Unter diesen Umständen bildet sich im Laufe von etwa 4 Tagen ein kontinuierlicher Anatasfilm von ca. 175 A Stärke. Beim Erhöhen des Potentials auf Werte über 2,5 V erfolgt eine schwache Änderung des Korrosionsabtrags, eine nennenswerte Steigerung der Korrosion tritt in dieser Lösung aber bis zu ziemlich hohen Spannungen nicht ein. Wenn sich einmal ein zusammenhängender Oberflächenfilm gebildet hat, fließt sehr wenig Strom in den Elektrolyten ab.

Das Verfahren, das Potential mit Hilfe einer angelegten Spannung zu erhöhen, gibt die Möglichkeit, Titangeräte in Lösungen zu verwenden, in denen es normalerweise mit sehr hohen Korrosionsgeschwindigkeiten angegriffen würde. Potentiometrische Untersuchungen in Schwefelsäure zeigten, dass bei 60 °C bis zu einer Säurekonzentration von 70 Gew. %, und bei 90 °C bis zu einer Konzentration von 40 % und möglicherweise sogar 60 % eine Schutzwirkung erzielt werden kann. Ohne anodische Passivierung ist der Korrosionsabtrag in Säure über 20 % immer sehr intensiv, und zwei Knicke in der Kurve zeigen Korrosionsspitzen bei einer ungefähren Konzentration von 40 % und 50 % an. Bei 60 °C wird durch Anlegen eines Schutzpotentials die erste Spitze komplett unterdrückt, nicht aber die zweite. Bei 90 °C sind beide Maximalwerte vorhanden, obwohl sie verglichen mit dem ungeschützten Metall eine wesentlich geringere Höhe zeigen.
Auch in anderen nichtoxydierenden Lösungen ist anodische Passivierung möglich. Ein annehmbarer Korrosionsabtrag wird in 60 %iger Phosphorsäure und 37 %iger Salzsäure bis zu 60 °C, 50 %iger entlüfteter Ameisensäure bis zum Siedepunkt, 25 %iger Oxalsäure bis zu 60 °C und in 20 %iger Sulfaminsäure bis zu 90 °C erzielt. Diese Daten sind in der Tabelle 29 zusammengefasst, der auch der Faktor, um den die Korrosion mit Hilfe der anodischen Passivierung verringert wird, zu entnehmen ist.

Als Beweis der praktischen Durchführbarkeit des anodischen Passivierungsverfahrens wurden halbtechnische Versuche mit Titanvorrichtungen in 40 %iger Schwefelsäure bei 60 °C durchgeführt. Der Apparat bestand aus einem geschweißtem Titantank (Abmessungen ca. 300 x 300 x 300 mm), der durch zwei Titanrohre von je 2,4 m Länge an eine - gleichfalls aus Titan bestehende - Kreiselpumpe angeschlossen war. Die Kathode im System war ein kleiner Bleiknopf, der durch die Tankseite gesteckt und von ihr isoliert wurde. Die Stromversorgung erfolgte durch eine Hochleistungsbatterie mit kontinuierlicher Pufferladung. Die Spannung betrug 2,5 V und der Stromverbrauch für den Schutz von Tank, Rohrleitung und Pumpe ungefähr 25 mA oder ca. 3 W/m2. Die Korrosion - durch Bestimmung der Titanmenge in Lösung geprüft -lag unter 0,005 mm/Jahr.

Eine Inspektion der Anlage nach der Versuchszeit ergab, dass alle flüssigkeitbedeckten Oberflächen mit einem dunkelblau/purpurroten Film überzogen waren. Lochfraß, selbst in Spalten, war nicht festzustellen. Die Schweißnähte und Wärmeeinflusszonen an den Tankseiten und an mit Säure benetzten Stellen über dem Flüssigkeitsspiegel waren gleicherweise unangegriffen. Um den Schutzwert des Oxidfilms ohne Hilfe der angelegten Spannung zu bestimmen, wurde der Strom ausgeschaltet, während der Umlauf der warmen Säure weiter vor sich ging. Keine sofortige Reaktion fand statt. Nach 9 Stunden wurde der Film angeritzt, um eine Korrosion herbeizuführen. Wieder war keine Reaktion sichtbar, aber nach etwa 30 Stunden löste sich der ganze Film auf und die Korrosion begann. Sie wurde sodann durch erneutes Anlegen der Spannung angehalten. Das Potential des filmüberzogenen Tanks wurde gegen die Zeit aufgetragen, und die entsprechende Kurve ist in Abb. 22 zu sehen. Sofort nach Abschalten des Schutzstroms erfolgte Spannungsabfall. Die Spannung blieb für eine Weile auf einem Wert stehen, der einem Anatasfilm in 40 %iger Schwefelsäure bei 60 °C entsprach. Dieser Film war offensichtlich dem Basis-Metall gegenüber kathodisch genug, um beim Einritzen eine Passivierung herbeizuführen. Dies wird in der Kurve dargestellt durch einen Potentialabfall gefolgt von einem Potentialanstieg zum Mittelwert des Oxidpotentials, sobald der Kratzer durch Erneuerung des Films wieder bedeckt wird. Schließlich fiel das Potential auf den Wert des reagierenden Metalls, d.h. auf das Korrosionspotential von Titan in 40 %iger Schwefelsäure bei 60 °C. Obwohl das anodische Passivierungsverfahren für praktisch jedes Titanteil anwendbar ist, sammelte man die meisten Erfahrungen mit Heiz- und Kühlschlangen, Thermoplatten, und Wärmeaustauschern. Kleine Teile wie Schlangenrohre und Thermoplatten verlangen nur eine ziemlich einfache elektrische Einrichtung mit einem Gleichrichter, der bis zu 5 A bei 2,5-3,5 V Spannung liefern kann, und einer Batterie mit zwei Nife-Zellen. Anfangs, während sich der Film aufbaut, erfolgt ein Stromstoß, der durch ein langsames Füllen des Bades verringert werden kann. Oft ist es ratsam, die Nife-Zellen während der Anlaufzeit durch eine Hochleistungs-Kraftwagenbatterie zu ersetzen. Nachher beträgt die stetige Entladung der Batterie wahrscheinlich nur ein paar hundert Milliampere: der genaue Stromverbrauch hängt von der Säurekonzentration und der Temperatur, sowie von der Menge des zu schützenden Titans ab. In Abb. 23 und 24 ist eine typische Anordnung für anodische Passivierung dargestellt.

Bei einem größeren Titanapparat wie z.B. einem Wärmeaustauscher ist die erforderliche elektrische Anlage etwas komplizierter. Es kann sich als nötig erweisen, Kathoden mit separaten Schaltungen an beiden Enden des Rohrbündels vorzusehen, und Blinkleuchten oder ein akustisches Warnsignal können eingebaut werden, um einen Ausfall der Stromzufuhr anzuzeigen. Auch hier ist es wieder ratsam, das Anfangsstadium der Filmbildung nicht unter den schwersten Betriebsbedingungen vor sich gehen zu lassen. Dies lässt sich entweder durch eine Vorfilmbildung mit einer kalten Lösung, oder mit einer schwächeren Säurekonzentration als bei Normalbetrieb üblich, bewerkstelligen. Der Anfangsstromstoß kann hierdurch auf ein Minimum reduziert werden. Da eine anodische Passivierung ein komplettes Benetzen der zu schützenden Fläche durch die Flüssigkeit voraussetzt, kann Metall im Dampfraum nicht so einfach passiviert werden. Die ideale Anordnung besteht daher aus vertikal-montierten Wärmeaustauschern mit einem Lösungszustrom vom Boden, um zu gewährleisten, dass die Titanoberflächen immer nass sind. Die zum Schutz benötigte angelegte Spannung schwankt je nach der Art der Anlage und kann bis zu 10-12 V betragen.

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Durchschlagspannung von Titan

Der Oxidfilm, der die Titanoberfläche bedeckt, wirkt nicht nur als Schutzschicht gegen chemischen Angriff, sondern auch als elektrische Isolierung, wenn Titan anodisch geschaltet wird. Die Strommenge, die normalerweise von einer Titananode in die Lösung fließt, ist daher sehr klein. Über bestimmten Spannungen jedoch kann der Oxidfilm als Isolator versagen, was eine schnelle Korrosion des darunterliegenden Metalls zur Folge hätte. Die Spannung, bei der dies eintritt, hängt von der jeweiligen Lösung und deren Temperatur ab, in die das Titan eintaucht. Im allgemeinen erhält man niedrige Durchschlagspannungen in jenen Lösungen, die größere Mengen von Halogeniden enthalten, während die Werte in anderen beträchtlich höher liegen. In einer 3 %igen Natriumchlorid-Lösung bei 90 °C z.B. kann ein Durchschlag des Oxids schon bei 6 Volt erfolgen, während der entsprechende Wert für Schwefelsäurelösungen bei über 50 V liegt. In halogenhaltigen Medien hat steigende Temperatur eine Verringerung der Durchschlagspannung zur Folge. Bei in Halogenidlösungen arbeitenden, anodisch geschützten Apparaten muss daher darauf geachtet werden, dass die aufgewandte Spannung den Durchschlagwert für die betreffende Lösung nicht übersteigt.

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